Wie kann mit jungen Menschen im Jugendzentrum partizipativ geforscht werden? Können digitale Zugangswege den Prozess unterstützen? Welche Möglichkeiten bietet ein solcher Ansatz?
Diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „Partizipation in der offenen Kinder- und Jugendarbeit“ ging das Projekt PEPBS – „Partizipative Evaluation der Präventionskette Braunschweig“ in den vergangenen drei Jahren nach. Das Vorhaben wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und war Teil des bundesweiten Forschungsverbunds PartKommPlus.
Im Rahmen einer Kooperation zwischen der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. (LVG & AFS) und der Stadt Braunschweig entwickelten Wissenschaftler*innen, die Leiter*innen von drei Jugendzentren, der Stadtjugendpfleger und die Vertreterin der Koordinierungsstelle Kinderarmut gemeinsam ein Konzept, um die Beteiligungsmöglichkeiten für junge Braunschweiger*innen zu stärken.
Zu diesem Zweck wurde eine Forderung der städtischen Jugendkonferenz nach mehr Autonomie im Jugendzentrum aufgegriffen und das Konzept „Autonomer Öffnungen“ in Braunschweiger Jugendzentren erarbeitet und umgesetzt. Dies bedeutet, dass die Jugendlichen ihre Einrichtung auch außerhalb der regulären Betriebszeiten eigenständig, also in Abwesenheit von Fachkräften, öffnen und währenddessen die Räumlichkeiten selbstbestimmt nutzen. Die LVG & AFS begleitete das Vorhaben mit digitalen sowie analogen partizipativen Evaluationsmethoden.
Entwicklung eines digitalen Erhebungsinstruments
Gemeinsam erarbeiteten die Fachkräfte der Jugendzentren, der Kommunalverwaltung sowie der LVG & AFS eine Auswahl an Methoden zur Evaluation der Autonomen Öffnungen. Im Anschluss berieten die Jugendzentrumsleitungen zusammen mit den jugendlichen Nutzer*innen, welche Methode in ihrem Haus umgesetzt werden soll. Zu beachten war, dass die Forschenden der LVG & AFS zu Beginn des Projekts nur einen eingeschränkten Zugang zum Jugendzentrum hatten, da dieser für die Jugendlichen einen geschützten Raum darstellt. Durch das partizipative Vorgehen bei der Wahl der Methode konnte eine hohe Akzeptanz seitens der Beteiligten geschaffen werden. Zusammen mit den Jugendlichen entschieden sich die Fachkräfte für ein digitales Erhebungsinstrument, welches über die App „Mentimeter“ abgerufen werden konnte. Mentimeter ist ein App-basiertes Tool, über das schnell, einfach und anonym Feedback zu spezifischen Fragen gegeben werden kann. Viele verschiedene Darstellungsmöglichkeiten, bspw. in Wortwolken oder Diagrammen, können zudem die Visualisierung und Diskussion von Ergebnissen unterstützen. Für die Erhebung wurden partizipativ mit allen Beteiligten, inklusive den Jugendlichen, zwölf Fragen zur Autonomen Öffnung entwickelt. Diese umfassten beispielsweise Fragen zu den Beweggründen der Jugendlichen, an der Autonomen Öffnung teilzunehmen, der Gestaltung ihrer Zeit im Jugendzentrum, aufgetretenen herausfordernden Situationen sowie eine Frage zu Verbesserungspotentialen. Auch hier trägt der partizipative Ansatz dazu bei, das Erhebungsinstrument an die Lebenswelt der Beteiligten anzupassen. Der Fragebogen konnte anonym nach jeder Autonomen Öffnung von den Jugendlichen auf ihrem Smartphone unkompliziert geöffnet und beantwortet werden. Anschließend wurden die Antworten von den Fachkräften gesichtet, um akute Bedarfe mit den Jugendlichen zu thematisieren und Anpassungen vorzunehmen. So erhielten die Teilnehmer*innen beispielsweise einen eigenen Schlüssel für den „Putzraum“, da sich herausstellte, dass ihnen zunächst nicht ausreichend Reinigungsmittel zur Verfügung standen. Fachkräfte haben die regelmäßige Reflexion zudem genutzt, um im Gespräch weitere Herausforderungen zu identifizieren, die nicht Eingang in die Antworten der Mentimeter-Umfrage gefunden haben. In der Folge konnten zwischenmenschliche Konflikte sowie persönliche Sorgen der Teilnehmenden aufgegriffen und thematisiert werden.
Der mittelbare digitale Zugangsweg ermöglichte es, dass sowohl das Forschungsinteresse der Beteiligten als auch das Jugendzentrum in seiner Funktion als Schutzraum Berücksichtigung fanden. Durch die Zusammenarbeit wuchs im Laufe des Projektes das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten.
Mentimeter Daten als Grundlage zur Reflexion
Im späteren Projektverlauf konnte durch das aufgebaute Vertrauen ein direkter Austausch zwischen den Jugendlichen sowie den Forschenden der LVG & AFS hergestellt werden. Man einigte sich zur Auswertung der gesammelten Daten auf die Durchführung eines Reflexionsworkshops, wobei die Mentimeter Daten sowie zusätzlich erhobene qualitative Daten als Diskussionsgrundlage dienten. Dafür wurden die Zwischenergebnisse graphisch aufgearbeitet und den Teilnehmer*innen zurückgespiegelt. Im Reflexionsworkshop zeigte sich, dass die unterschiedlichen Beteiligten auch voneinander differierende Motive zur Durchführung der Autonomen Öffnungen identifizierten. Während den Jugendlichen ein eigener Raum, in dem sie selbstbestimmt ihre Zeit gestalten können, wichtig gewesen ist, erhofften sich die pädagogischen Fachkräfte zudem einen positiven Effekt auf das Vertrauen der Jugendlichen in die eigenen Fähigkeiten, einen Zuwachs an Kompetenzen sowie eine Aneignung des Jugendzentrums durch die Jugendlichen als „ihren Raum“. Sowohl die erhobenen Daten als auch der Austausch im Reflexionsworkshop bestätigten, dass die Beteiligten ihre Ziele erfüllen konnten. Auch unerwartete Konfliktsituationen bewältigten die Jugendlichen eigenständig und formulierten abschließend, dass sie sich bei Planung, Umsetzung und Evaluation der Autonomen Öffnung „auf Augenhöhe“ mit den Fachkräften verortet fühlten.
Resümee zur Nutzung von Mentimeter im Rahmen von PEPBS
Auch in der partizipativen Gesundheitsforschung können digitale Datenerhebungsinstrumente eine sinnvolle Erweiterung des Methodenrepertoires darstellen. Im Projekt PEPBS führte die gemeinsame Entscheidung zur Anwendung von Mentimeter zu einer hohen Akzeptanz der Methode durch die Beteiligten. Zudem konnten die generierten Daten umgehend im Verlauf genutzt werden und als Grundlage für eine weitere Reflexion dienen.
Kontaktdaten
Alexandra Schüssler
E-Mail: alexandra.schuessler@gesundheit-nds.de
Jan Fischer
E-Mail: jan.fischer@gesundheit-nds.de
Elisabeth Rataj
E-Mail: elisabeth.rataj@gesundheit-nds.de