Arbeitsfähigkeit als Win-win-Situation in einer veränderten Industrie

Prof. Dr. Jörg von Garrel Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences

Simone Thomas Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences

Produzierende Unternehmen in Deutschland sind von einem steigenden Wettbewerbsdruck in einer globalisierten und digitalisierten Welt sowie einem demografisch bedingten Fachkräftemangel betroffen.

Ein denkbares Szenario zur Bewältigung dieser neuen Arbeitsanforderungen besteht in einem „Upgrading“ der Qualifikationen von Mitarbeiter*innen, beispielsweise indem die IT-Kompetenz und die Fähigkeit, selbstständig für innovative Prozesse Lösungen zu finden und umzusetzen, wichtiger werden. Ein anderes Szenario sieht eine Polarisierung der geforderten Qualifikationen auf Arbeiter*innen zukommen, bei der nur noch zwischen hoch anspruchsvollen und einfachen Arbeiten unterschieden wird.

Mehrere wissenschaftliche Studien betrachten die möglichen Entwicklungen von industrieller Arbeit und halten es für realistisch, dass im Bereich der Industrie humangerechte Lösungen wie beispielsweise ein höherer Flexibilisierungsgrad der Mitarbeitenden umgesetzt werden.

Gegenteilig dazu stehen Szenarien einer dunklen menschenleeren Fabrik und einem „Lights-Out Manufacturing“, das den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze in diesem Sektor nach sich ziehen könnte. Insgesamt wird deutlich, dass die Entwicklungen signifikante Änderungen in der Industrie mit sich bringen werden.

Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsbedingungen

In der Vergangenheit haben Wissenschaftler*innen verschiedene qualitative und quantitative Analysen durchgeführt und potenzielle Wirkungen einer zunehmenden Digitalisierung in der Produktion auf die Arbeitsbedingungen identifiziert. Diese umfassen:

  • Körperliche Arbeitserleichterungen
  • zunehmender Wegfall von Routinetätigkeiten (insb. durch einen zukünftig vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz),
  • zeitliche Entgrenzung der Arbeit,
  • erleichterter Zugang zu Weiterbildungs-/Qualifikationsmöglichkeiten, die zunehmend am Arbeitsplatz stattfinden,
  • Steigerung der Vielfalt aber auch Komplexität der Arbeitsaufgaben und -systeme,
  • neue Formen der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg und die
  • Zunahme der Bedeutung und Häufigkeit digitaler Kommunikation.

Aus arbeitsgestalterischer Sicht führen diese Entwicklungen zu veränderten Arbeitsanforderungen wie:

  • Bedeutungszunahme von interdisziplinärem Wissen und Fähigkeiten der Zusammenarbeit, der IT-Kompetenz, der Prozess- und Systemkompetenz und von sozialen Kompetenzen,
  • ständige Bereitschaft und Fähigkeit, sich breit gefächert und arbeitsplatznah auch mithilfe neuer Technologien lebenslang weiterzubilden,
  • Zunahme der Relevanz der Unterstützung von Arbeitstätigkeiten durch digitale Arbeitssysteme.

Erfolgreiches Miteinander von Mensch und Maschine

Damit produzierende Unternehmen die Chancen der genannten Entwicklungen erfolgreich nutzen, ist somit nicht die Frage, ob zukünftig menschenleere Produktion möglich ist und somit eine Wahl zwischen Mensch ODER Mensch entscheidend, sondern ein erfolgreiches Miteinander zwischen Mensch und Maschine in Produktionssystemen. Unternehmen benötigen hierfür verstärkt neue Arbeitskonzepte, um Mitarbeiter*innen zu befähigen, in einer digitalisierten Wirtschaft effektiv und effizient tätig zu sein beziehungsweise in Bezug auf ihre Arbeitsfähigkeit in der digitalisierten Arbeitswelt zu schützen und zu unterstützen. Dazu müssen Unternehmen neue Wege in der Arbeitsgestaltung, Kompetenzentwicklung, Prävention, Personal- und Organisationsentwicklung einschlagen.

Gerade der Arbeitsschutz, der Gesundheitsschutz und die Arbeitsgestaltung können diesen Veränderungen Rechnung tragen, indem sie Präventionsangebote und Gestaltungsansätze bereitstellen, die auch unter veränderten Arbeitsbedingungen effektiv funktionieren.

Erste Schritte erfolgten bereits: Das Arbeitsschutzgesetzt wurde um den Aspekt erweitert, dass Arbeitgeber*innen auch eine Sorgfaltspflicht gegenüber den psychischen Belastungen ihrer Beschäftigten besitzen. Weiter wird im Präventionsgesetz geregelt, dass Prävention, Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz im Betrieb gefördert und Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Mitarbeitenden am Arbeitsplatz implementiert werden. Die betriebliche Gesundheitsförderung, welche hierzu Maßnahmen der Gesundheitsförderung und des Arbeitsschutzes vereint, muss unter Betrachtung des Unternehmens als soziotechnisches System durch die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden und Maschinen eine immer bessere und stabilere Balance zwischen den Arbeitsanforderungen und dem Beschäftigen herstellen.

Hierzu sind verhältnispräventive Maßnahmen wie zum Beispiel die Arbeitszeitgestaltung zu initiieren, welche um verhaltenspräventive Aktionen, wie beispielsweise dem Selbstmanagement erweitert werden. Denkbar wäre hier ein Szenario, welches in besonders leistungsintensiven Episoden auf eine hinterlegte optimaler Pausenzeitregelung wie im Regelbetrieb zurückgreift. So könnten anstrengende Tätigkeiten nach 50 Minuten unterbrochen werden, um eine 10-minütige Erholung durch im Selbstmanagement erlernte beziehungsweise durch zur Verfügung gestellte Angebote zu ermöglichen. Betriebliche Gesundheitsförderung muss als primäres Ziel den Aufbau von organisationalen, personalen und sozialen Ressourcen im Unternehmen verfolgen, um die Arbeitsfähigkeit und die -bereitschaft ihrer Beschäftigten langfristig zu erhalten. Digitale fächerübergreifende Angebote zur Prävention in Form von Präventionsallianzen (beispielsweise einer App, welche Angeboten wie Weiterbildungs-, Sport-, Entspannungs-und Kindernotfallbetreuungsmaßnahmen integriert) bieten die Möglichkeit, umfangreiche, individuelle, orts- und zeitunabhängige Angebote zur Verfügung zu stellen, welche sich am jeweiligen unternehmerischen und personellen Bedarf orientieren, und gleichzeitig deren Wirksamkeit überprüfen und dokumentieren, um Optimierungspotenzial frühzeitig zu erkennen. Hiermit sind sie in der Lage, einen großen Beitrag zur Entwicklung und Erhaltung der Gesundheit von Mitarbeitenden, verbunden mit unternehmerischem Erfolg zu leisten sowie Unternehmen auf ihrem Weg zur fortschreitenden Digitalisierung zu begleiten und zu unterstützen. Weiterhin ermöglichen sie die klare Kommunikation der Bedeutung jedes Einzelnen für das Unternehmen und damit die notwendige Positionierung auf einen immer stärker umkämpften Arbeitsmarkt.

Genauere Informationen hierzu finden sich unter:
von Garrel, Jörg (Hrsg.): Digitalisierung der Produktionsarbeit – Arbeitsfähig sein und bleiben, Springer Verlag, 2020, eBook ISBN 978-3-658-27703-1, DOI 10.1007/978-3-658-27703-1


Kontakt
Jörg von Garrel, Prof. Dr.
joerg.vongarrel@h-da.de
Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences

Simone Thomas, M. Sc.
simone.thomas@h-da.de
Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences