Corona verschärft die Spaltung der Gesellschaft –
analog und digital!

Klaus-Dieter Gleitze Landesarmutskonferenz LAK Niedersachsen – Geschäftsführer

Die Corona-Krise ist eine der größten politischen Zäsuren in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Das gesamte Ausmaß mit allen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen ist noch lange nicht absehbar, aber eins ist offensichtlich: Vor dem Virus sind nicht alle gleich. Wer arm ist, ist in der Krise noch ärmer dran als der Rest.

Vor der Krise

Über 10 Jahre Konjunktur-Dauerhoch haben es nicht vermocht, die Armutsquote nennenswert zu senken. Seit Ende der Neunziger Jahre hat die Armut um fast 50 Prozent zugenommen, während die Zahl der Millionäre sich mehr als verdoppelt hat. Die Spaltung unserer Gesellschaft zwischen Arm und Reich hat sich vertieft. Die Armutsrisikoquote lag in Niedersachsen im Jahr 2019 bei 16,0 Prozent und damit um einen vollen Prozentpunkt höher als im Jahr zuvor. Bei einer niedersächsischen Gesamtbevölkerung von über 7,98 Millionen Menschen sind insgesamt 1,36 Millionen unmittelbar mit Armut konfrontiert.

Und jetzt?

Die Situation wird durch die Corona-Krise immer prekärer. Im letzten Jahr gaben laut Statistischem Bundesamt fast 20 Prozent der Bezieher*innen von Niedrigeinkommen an, finanzielle Schwierigkeiten zu haben.

Armut und ihre Folgen gerade in Zeiten der Corona-Pandemie werden in der öffentlichen Diskussion sträflich vernachlässigt. Es gibt anders als in anderen Staaten in Deutschland noch nicht einmal zuverlässige Daten darüber, um wieviel größer das Risiko für Arme ist, von Corona betroffen zu werden und schwerere Krankheitsverläufe und Nachwirkungen zu haben. Für Wohnungslose ist die Situation bereits jetzt existenzbedrohend – Zuhause bleiben kann nur, wer eins hat! Und in Ballungsräumen zeichnet sich keinerlei Entspannung auf dem Wohnungsmarkt für Menschen mit wenig Einkommen ab. Lebensmittel für Arme werden immer unerschwinglicher. Frauen sind gerade als Alleinerziehende, oft prekär beschäftigt und mit Sorgearbeit ständig belastet, doppelte Krisenverliererinnen.

Aktuell zieht die Inflation deutlich an, von ihr sind Arme am härtesten betroffen, geht doch fast ihr gesamtes Budget direkt in den Konsum. Die Steigerungsraten bei Hartz-IV sind minimal, Menschen im Niedriglohnsektor und prekären Beschäftigungsverhältnissen sind von der positiven Lohnentwicklung der letzten Jahre abgekoppelt.

Das heißt: Eine notwendige digitale Nachrüstung oder überhaupt erst Anschaffung ist für sie ebenso wenig realisierbar wie ein Urlaub oder ein Auto, Selbstverständlichkeiten für Frieda Normalverbraucherin.

Was ist mit digitaler Teilhabe?

Digitale Kommunikation und Information haben sich während der Pandemie als zentrales Momentum von Teilhabe herausgestellt, auch jenseits vom viel gepriesenen Home-Office, das für viele Prekäre gar nicht in Betracht kommt. Ohne passende Hardware, abgehängt vom Netz, mit den Kosten überfordert, ausgerüstet mit oft mangelhafter digitaler Kompetenz sind Arme beispielsweise im Rennen um Impftermine abgehängt. Das bedeutet zusätzliche Gesundheitsrisiken in einer Existenz, die ohnehin wesentlich höher mit Morbidität und Mortalität belastet ist. Oft sind sie zusätzlich schon vereinsamt, so dass ihnen auch notwendige analoge Netzwerke fehlen.

Handelt es sich um Haushalte mit Kindern, wird die Situation zum Desaster. Digitale Bildung als die Schlüssel-Ressource für einen guten Start in die Zukunft kann oft schon aus räumlichen Gründen nicht erfolgen. Wo sich in sozialen Brennpunkten nicht selten mehrere Kinder einen PC teilen müssen, auf engstem Raum vielleicht in der Küche sich um Möglichkeiten für Homeschooling drängeln, ist absehbar, dass solche Familien doppelte Krisenverlierer sind: In der Gegenwart mit Job- und Einkommensverlusten bedroht und keine Chance in der Zukunft die Lage zu verbessern.

Die gesellschaftliche Perspektive ist alles andere als rosig: Armut dürfte während der Pandemie zunehmen, Stichworte hier zunehmende Insolvenzen, wachsende Arbeitslosigkeit, Überschuldung, steigende Mieten und Inflation. Dazu kommen Verteilungskämpfe nach der Bundestagswahl, wenn es darum geht: Wer zahlt eigentlich für die Krise? Die Kommunen marschieren in Richtung Pleite und die Sozialausgaben sind von massiven Einschnitten bedroht.

Wenn da Räume und Ressourcen für digitale Bildung und Kompetenzen erhalten und ausgebaut werden sollen, um ein Mindestmaß an Teilhabe zu gewährleisten, sind alle Akteure gefordert, Widerstand zu leisten gegen eine noch weiter wachsende Spaltung der Gesellschaft.

Was gebraucht wird: Ein sozialpolitisches Fridays for Future!

Die LAK geht diesen und anderen Fragen beim nächsten Fachtag nach: 16. November 21, 10.30 – 13.30 Uhr, geplant als Hybridveranstaltung. Details und Anmeldung zu gegebener Zeit auf www.landesarmutskonferenz-niedersachsen.de.


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