Digital, technisch und gesund in der Pflege –
Wie passt das zusammen?

Dominik Bruch Geschäftsführer Auf- und Umbruch im Gesundheitswesen

In den Medien liest man ununterbrochen von der Digitalisierung. In der freien Wirtschaft ist schon längst die „Arbeit 4.0“ ein geflügeltes Wort, um die vierte industrielle Revolution zu beschreiben. Die Arbeitswelt wird auf den Kopf gestellt und Arbeitsplätze verändern sich. Wenn man in ein durchschnittliches Pflegeheim oder einen ambulanten Pflegedienst geht, könnte man meinen, die Digitalisierung und Technisierung seien dort nicht angekommen. Einige Kolleg*innen sagen auch manchmal „an Pflege ändert sich nichts“ oder „also ich möchte ja nicht von einem Roboter gepflegt werden“. Bei diesem Einblick in das Ökosystem Pflege könnte man meinen, dass Digitalisierung und Pflege nicht zusammenpassen. Dieser Eindruck wird erstmal verstärkt, wenn man hinterfragt, in wie vielen Einrichtungen die Infrastruktur zur Digitalisierung bereits geschaffen wurde – dazu zählt zum Beispiel das Vorhandensein von Computern, Tablets oder ähnliche Gerätschaften und eine gute und stabile Internetverbindung. Wer etwas genauer hinschaut, stellt aber schnell fest, dass zum Beispiel in der Langzeitpflege die Technisierung schon längst eingesetzt hat. Wo es vor Jahren noch Betten gab, die mit Muskelkraft hochgefahren (teilweise „gepumpt“) wurden, stehen heute schicke Betten mit Elektroantrieb. Bei Rollstühlen sehen wir das Gleiche – wo wir vor wenigen Jahren noch Personen keuchend einen Rollstuhl einen Berg hochschieben gesehen haben, stolziert heute eine Person hinter dem Rollstuhl mit Elektroantrieb hinterher. Die Technisierung ist also schon längst angekommen. Vielleicht ist sie nur noch nicht ganz so weit, wie in anderen Branchen.

Doch wie sieht es mit der Digitalisierung aus?

Das Problem mit jeder Neuerung ist, dass diese auch immer dazu führt, dass wir lernen müssen, damit umzugehen. Wer über den Laptop Pflegeplanungen, Dienstplanung schreiben oder Fortbildungen absolvieren kann, könnte durch das Überangebot und die Verfügbarkeit rund um die Uhr, sich selbst die freie Zeit zur Regeneration nehmen. Vermehrte Krankheit wäre eine mögliche Folge. Doch genau das Gegenteil kann der Fall sein:

Es gibt Möglichkeiten, wie Digitalisierung die Gesundheit von Pflegenden schützen kann.

Dies soll genauer betrachtet werden:

Laut der WHO Definition bezieht sich „Gesundheit“ sowohl auf physische wie auch auf psychische Elemente. Die Situation in der Pflege kann bekanntermaßen beide Dimensionen beeinträchtigen. Starke physische Arbeit, hoher emotionaler Stress und die ständige Konfrontation mit Extremsituationen (wie Ekel, Krankheit oder Tod) fordern Pflegende auf täglicher Basis heraus.

Stärkung der physischen Gesundheit durch einfache Maßnahmen

Die ersten technischen Unterstützungen sind ein elektrisches Bett (erlauben rückenschonendes Arbeiten), der elektrische Antrieb am Rollstuhl (weniger Gewicht zu tragen) oder aber Lifter, um Personen aus dem Bett zu mobilisieren. Diese erleichtern insbesondere rückenschonendes Arbeiten und sind weit verbreitet. Dies ist jedoch erst der Anfang – Sprachsteuerung ermöglicht Personen mit eingeschränkter Mobilität größere Selbständigkeit. Pflegende müssen nicht mehr gerufen werden, nur um die Rolladen hochzuziehen, die Heizung höher zu drehen oder Musik anzumachen. Dies kann Ressourcen insbesondere in der Versorgung von Menschen mit Behinderung schonen. Obwohl es die Möglichkeiten gibt und die Umsetzung sehr einfach erscheint, setzen Pflegeeinrichtungen dies nur bedingt um. Insbesondere in der ambulanten Pflege sollte man diese Unterstützung insbesondere in Beratungen thematisieren. Eine Förderung über die „wohnumfeldverbessernden Maßnahmen“ (§40 SGB XI) sind denkbar – schließlich wird primär die Selbständigkeit gefördert. Wenn Sie als Leitungskraft diese Art der Unterstützung verstärken müssen, bedenken Sie, dass Ihre Mitarbeitenden zum Teil auch erste Berührungsängste haben. Wenn die Kolleg*innen jedoch mit den digitalen Hilfsmitteln erste praktische Erfahrung gesammelt haben, tritt schnell eine positiv wahrgenommene Gewöhnung ein.

Alter Mensch mit Pflegerin

Eine noch stärkere körperliche Entlastung bieten sogenannte Exoskelette. Sie werden je nach Ausführung zum Beispiel wie ein Rucksack getragen und an den Armen befestigt. Die Skelette unterstützen bei der Bewegung. Dadurch werden Muskeln weniger schnell müde – die tägliche Arbeit wird also weniger körperlich belastend wahrgenommen. Diese Skelette werden derzeit vor allem in Pilotprojekten getestet und entwickelt. Hier zeigen erste Interviews, dass Pflegende die externe Unterstützung nach einer extrem kurzen Gewöhnungsphase bereits als hilfreich wahrnehmen und diese dementsprechend schnell akzeptiert sind.

Positive Auswirkungen der Digitalisierungsprozesse auf die psychische Gesundheit

Auch für die psychische Gesundheit kann durch den permanenten Zeitdruck, den dauerhaften Ressourcenmangel und emotional belastenden Situationen angegriffen werden. Insbesondere das Gefühl der Mangelversorgung oder des „nicht gerecht Werdens“ von Bedürfnissen der zu versorgenden Personen stellt für viele Pflegende eine starke Herausforderung dar. Digitalisierung kann helfen, beispielsweise um den Zeitdruck zu minimieren – etwa durch Sensoren und eine digitale Dokumentation. Wenn zum Beispiel Drucksensoren in einem Pflegebett sinnvoll eingesetzt werden, sagen diese zuverlässig, ob sich eine Person ausreichend bewegt hat oder jetzt positioniert werden muss. Dementsprechend wird unnötige Arbeit vermieden, Ressourcen werden frei, der Stress reduziert und die Sicherheit steigt, dass niemand aus fachlicher Sicht unterversorgt ist.

Eine weiterer hoher Belastungsfaktor für die psychische Gesundheit sind Fehler – gerade Medikamentenfehler treten häufig auf und können mitunter schwere Auswirkungen haben. Wenn ein Roboter das Blistern übernimmt, reduziert sich die Fehlerrate erheblich. Eine andere Fehlerquelle sind Übertragungsfehler – wenn zum Beispiel die Fieberkurve für die nächste Woche vorbereitet werden muss. Diese Übertragungen fallen bei digitaler Dokumentation ebenfalls weg. Natürlich können diese positiven Effekte nur erzielt werden, wenn sich individuelle Personen an die Art der Arbeit gewöhnt haben und nicht noch in der Einführung stecken. Zu Beginn bedeuten digitale Maßnahmen wie alle Umstellung erst einmal Arbeit und vielleicht auch für Einzelpersonen Stress.

Die Zukunft bietet weitere Möglichkeiten – allerdings nur zusätzlich zu qualitativ gut ausgebildeten Pflegenden

Die kurzen Ausführungen zeigen bereits, dass verfügbare Technik und digitale Produkte positive Effekte für die Gesundheit der Pflegenden haben. Ein Blick in die Zukunft lohnt sich definitiv. Es bleibt zu hoffen, dass sich Instrumente wie die Exoskelette auch flächendeckend durchsetzen und entsprechend refinanziert werden. Themen wie Videotelefonie, Augmented oder Virtual Reality sowie Robotik sind bisher nicht erschöpfend angesprochen worden (das würde auch den Rahmen sprengen) – sie eröffnen jedoch ganz neue Möglichkeiten und werden die Pflege herausfordern, neue Kompetenzen und Versorgungskonzepte zu entwickeln. In diesem letzten Punkt liegt ein ganz wichtiger Aspekt, der über das Gelingen oder das Scheitern von digitalen Produkten entscheidet: Die Qualität und Quantität des Pflegepersonals. Digitalisierung kann nur ein kleiner Baustein in der Zukunft der Pflege sein. Richtig eingesetzt, können wir aber große Hilfestellung erwarten.

 

Literatur
Mojtahedzadeh, N., Neumann, F.A., Rohwer, E. et al. Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege. Präv Gesundheitsf (2020). https://doi.org/10.1007/s11553-020-00800-1

 

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