Gender und Social Media in der Medienpädagogik

Steff Brosz, medienpädagogische Referentin am JFF – Institut für Medienpädagogik in der Abteilung Praxis.

Social Media stellt einen wichtigen Bezugspunkt für Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung von Geschlechtsidentifizierung und sexueller Orientierung dar. Jedoch sind Geschlechterdarstellungen überwiegend geschlechterstereotyp geprägt. Dies verdeutlicht den Handlungsbedarf geschlechterreflektierender Medienpädagogik. Denn ganz besonders bei diskriminierungssensiblen Themen, wie geschlechtliche Vielfalt, lohnt es sich genauer hinzuschauen, Kinder und Jugendliche damit nicht allein zu lassen und stereotypische Verhaltensweise zu reflektieren und reduzieren.

Grundhaltungen der Medienpädagogik

Die aktive Medienpädagogik zielt auf die Förderung von Medienkompetenz ab, unterteilt in Schritten die Analyse, Reflexion bis hin zur Anleitung eines aktiven und sinnvollen Medienumgangs. Dies bedeutet also hinter den Vorhang von Medieninhalten zu blicken. Wer teilt, mit welchen Intentionen, für wen Inhalte auf Social Media? Was gibt es abseits des Mainstreams und der von Algorithmen gefilterten Blasen zu entdecken? Geschlechterreflektierte Medienpädagogik möchte nun also in die Welt von Kindern und Jugendlichen eintauchen, ihre Mediengewohnheiten und -nutzungsweisen erfragen und sie gleichzeitig dafür sensibilisieren, welche klassischen Stereotype hier reproduziert werden. Eine größtmögliche Souveränität und Entscheidungsfreiheit ist ein Ziel dieser Aufklärung. Konkrete Ziele der pädagogischen Arbeit sind also die Förderung individueller Vielfalt und der Abbau gesellschaftlich formierter struktureller Ungleichheiten. Die individuelle Vielfalt ist hierbei ein umfassendes Konstrukt bestehend aus vielen nivellierenden Konzepten des Selbst. Es bildetet sich die Identität und das Ich-Konzept in Auseinandersetzung mit dem Kontakt zu anderen stetig weiter.

Eine gerechtere Gesellschaft durch geschlechterreflektierte Pädagogik

Eine wichtige Phase des Aufwachsens liegt in der Jugend, die besonders von äußeren Faktoren und Einflüssen geprägt ist. Geschlechternormierungen und Stereotypisierungen sollten von pädagogischen Fachkräften hier dringend aufgebrochen werden, um die vielfältigen Möglichkeiten des Individuums nicht zu beschränken oder gar zu sanktionieren. Über allem steht das anvisierte Ziel strukturelle Ungleichheiten bewusst zu machen und abzubauen. Katharina Debus1 formulierte bereits sehr konkrete Forderungen: Pädagogische Fachkräfte haben mit einer gendersensiblen (Medien-)Pädagogik die Möglichkeit allen Menschen aufzuzeigen, dass sie ein Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit, gute Bezahlung, sexuelle Selbstbestimmung, gesellschaftliche Anerkennung und politische Gestaltungsfähigkeit haben. Diese Ziele können Leitlinien für eine genderreflektierte Medienpädagogik sein, um allen Menschen die Möglichkeiten aufzuzeigen und Mittel an die Hand zu geben, das selbstbestimmte Leben zu führen, das sie möchten.

Stereotype Inszenierungen mit geschlechterreflektierter Medienpädagogik entlarven

Medienpädagogische Praxis lässt sich gar nicht loslösen von einer Arbeit mit und zu Geschlecht, denn in einer zweigeschlechtlich geprägten und organisierten Gesellschaft ist es notwendig, über ebendiese zu sprechen. Es können strukturelle Zusammenhänge in den Blick genommen und sich daraus ergebende Machtasymmetrien und Ungleichheitsmechanismen enttarnt werden. Und für eine geschlechtersensible Bildungsarbeit bedarf es einer reflektierten Geschlechtertheorie. Vor diesem Hintergrund spielt die Auseinandersetzung mit queertheoretischen Ansätzen eine entscheidende Rolle, um der Entwicklung in der Geschlechterforschung Rechnung zu tragen und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in die medienpädagogische Arbeit zu Geschlecht einfließen zu lassen. Eine der grundlegenden Herausforderungen liegt dabei auf methodischer Ebene. Es besteht hier besonders der Anspruch, gesellschaftliche Vielfalt als solche sichtbar zu machen und eine Binarität in Bezug auf Geschlecht durch das eigene (methodische) Tun nicht zu (re)produzieren.

Kernkompetenzen des Praxisweges

Um diese hohen Ziele zu erreichen, braucht es unter anderem Kernkompetenzen und Wissen von Pädagog:innen und konkrete pädagogische Methoden. In einem Workshop oder einer Unterrichtseinheit zum Thema Social Media und Geschlecht wird sich der aktuelle gesellschaftliche Habitus wohl kaum revolutionieren lassen. Jedoch können pädagogische Fachkräfte Möglichkeiten schaffen, ein Anstoß sein, Mittel an die Hand geben und eine Bühne bieten für ein selbstbestimmtes Leben. Das bedeutet aber auch die Anerkennung von schwierigen Momenten. Es müssen gegebenenfalls Differenzen, Ambivalenzen, Unschärfemomente und Widersprüchlichkeiten als Teil der Realität anerkannt, ausgehalten und wertgeschätzt werden, um diese fruchtbar zu machen. „Dabei gilt es, eine Balance zwischen selbstkritisch-reflektierendem Herangehen und Fehlerfreundlichkeit zu finden. […] Eine Haltung lebenslangen Lernens halte ich in diesem Sinne für eine Kernkompetenz pädagogischen Arbeitens“ 1 (S. 157). Dies bedeutet auch eine Sensibilisierung für historisch geprägte gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse. Es sich also bewusst machen, dass in alltäglichen, kleinsten Interaktionen Geschlecht eine gewisse Rolle zugeschrieben wird. Diese Inszenierung von Geschlecht findet sich direkt übertragen in Auftritten auf Social Media. Gefahren und Ungerechtigkeiten zeigen sich in der übertragenden Geschlechterhierarchie und einer Statushöherbewertung des männlichen Geschlechts. Um diesem Verhalten entgegenzuwirken, findet sich beispielsweise die Methode des Gender-Re-Skripting. Hierbei achten Lehrpersonen und Fachkräfte aktiv darauf keine Muster zu reproduzieren, bei denen geschlechtsstereotypische Annahmen getroffen werden, von denen sich die Kinder und Jugendlichen beeinflussen lassen. Ein Beispiel dafür ist, wenn die Lehrperson vor einer Leseprobe der Klasse erläutern würde, dass sich die Jungen bei dieser Aufgabe mehr anstrengen müssten, da ihre Leseleistungen unter denen von Mädchen liegen2.

Methodische Annäherungen: Praxisbeispiele aus GenderONline

Um eigene pädagogische Handhabungen zu reflektieren und tiefergehend mit Kindern und Jugendlichen gendersensibel medienpädagogisch zu arbeiten, finden sich Best-Practice-Beispiele mit Blick auf methodische Herangehensweisen bei dieser Zielgruppe. Diskriminierung und Benachteiligung kann sichtbar gemacht und eine Gleichberechtigung und Mediensouveränität angeregt werden. Das Projekt GenderONline – Geschlechterbilder und Social Media zum Thema machen bietet sechs Methodenpakete, die sich in einzelne Module gliedern. Die Methodenpakete stehen auf der Website gender.jff.de zum Download als OER (Open Educational Ressource) zur Verfügung, um eine nachhaltige Nutzung zu ermöglichen.


Quellen
1Debus 2012: Dramatisierung, Entdramatisierung und Nicht-Dramatisierung in der geschlechterreflektierten Bildung. Oder: (Wie) Kann ich geschlechterreflektiert arbeiten, ohne geschlechtsbezogene Stereotype zu verstärken? In: Dissens e.V., Debus, Könnecke, Schwerma, Stuve (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Texte zu Pädagogik und Fortbildung rund um Jungenarbeit, Geschlecht und Bildung. Broschüre: Berlin. 149-158.
2Owens & Massey 2011: Stereotype Threat and College Academic Performance. A Latent Variables Approach. In: Social Science Research. 40. Jg. H. 1, 150-166.
3Jäntschi, Katharina & Brosz, Steff: Reflexionen zu Gendersensibler Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen. In: merz | medien + erziehung 23 (3), 78-85.
4Ertl & Helling 2015: Gender-Re-Skripting. Eine Methode zur Reduktion stereotyper Verhaltensweisen im Unterricht. In: Wedl & Bartsch (Hg.) Teaching Gender? Bielefeld: transcript Verlag. 353-373.


Steff Brosz
medienpädagogische Referentin, JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Internet: www.jff.de
E-Mail: steff.brosz@jff.de