Die Ergänzung der Rettungskette durch Mobile Retter

Dennis Brüntje, Lena Heib, Mobile Retter e. V.

Mehr als 70.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses, den nur ca. 10 % der Betroffenen überleben1. Als Initiative setzt sich der gemeinnützige Verein Mobile Retter e. V. daher für die Verbreitung Smartphone-basierter Ersthelfer-Alarmierung (SbEA) durch qualifizierte Ehrenamtliche bei lebensbedrohlichen Notfällen ein. In den vergangenen Jahren konnten die Mobilen Retter in tausenden Einsätzen helfen Menschenleben zu retten2. Eine flächendeckende schnelle medizinische Erstversorgung dieser lebensbedrohlichen Notfälle könnte in Deutschland pro Jahr mehr als 10.000 Menschenleben retten.

Erfordernis und Wirkung der Smartphone-basierten Ersthelfer-Alarmierung (SbEA)

Die Eintreffzeit des Rettungsdienstes am Einsatzort liegt in Deutschland durchschnittlich bei neun Minuten nach dem Notruf. Bei einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand kann nur eine sofort eingeleitete Reanimation das Überleben der Patient*innen sichern. Trotz guter rettungsdienstlicher Versorgung in Deutschland ist die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes häufig zu lang, um den Tod oder schwerwiegende Spätfolgen zu verhindern. Die parallel von der Leitstelle alarmierten Mobilen Retter sind, allein durch ihre örtliche Nähe, im Schnitt nach 4,5 Minuten am Notfallort und können bereits entscheidende lebensrettende Maßnahmen einleiten, bis der Rettungsdienst eintrifft. Die Rettungskette wird somit durch die SbEA gestärkt, ohne eine Änderung an der bisherigen etablierten Struktur des Rettungsdienstes vorzunehmen.

Abbildung 1: Funktionsweise SbEA, Bild: Mobile Retter e. V.
Abbildung 1: Funktionsweise SbEA, Bild: Mobile Retter e. V.


Mit dem bei der Leitstelle (112) eingehenden Notruf wird bei den Stichworten „Herz-Kreislauf-Stillstand“ oder „Bewusstlosigkeit“ parallel zur Alarmierung des Rettungsdienstes im Einsatzleitsystem der Leitstelle eine Mobile Retter-Alarmierung ausgelöst. Der Alarmierungsserver des von der jeweiligen Gebietskörperschaft beauftragten Technologieanbieters eruiert anhand der vorliegenden GPS- und Ortungsdaten die zum Einsatzort nächst verfügbaren qualifizierten Ersthelfenden, alarmiert diese über eine Smartphone-App und navigiert sie zum Einsatz. Bei der SbEA handelt es sich also nicht um ein rein technisches System, sondern um ein Netz von qualifizierten Ehrenamtlichen, die Technik zur Lebensrettung nutzen.

Eine erste Studie belegt, dass sich durch den Einsatz von Mobilen Rettern die Krankenhausentlassungsrate und auch das „gute neurologische Outcome“ der betroffenen Patient*innen verdoppelt3.

Aus diesen und anderen vorliegenden Daten geht klar hervor, dass durch Mobile Retter nicht nur deutlich mehr Menschen einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand überleben, sondern diesen auch deutlich besser, also mit weniger gravierenden Folgeschäden, überstehen.

Durch eine flächendeckende Verbreitung der SbEA lassen sich die Kosten für intensivstationäre Aufenthalte, Reha-Maßnahmen und pflegerische Versorgung für teils schwer- und schwerstbehinderte Menschen deutlich reduzieren. Darüber hinaus ist durch die schnelle Hilfe vor Ort mit einer Reduktion der psychosozialen Belastungen im familiären Umfeld der Betroffenen zu rechnen.

Ehrenamtliche Mobile Retter als Schlüsselressource

Das Projekt Mobile Retter ist eine Initiative des gemeinnützigen Vereins Mobile Retter e. V. und wurde 2013 als Erstes im Kreis Gütersloh – in Kooperation mit der Kreisverwaltung Gütersloh, den örtlichen Hilfsorganisationen sowie Kliniken, Ärzteschaft und Feuerwehren – etabliert. Mittlerweile sind die Mobilen Retter mit Unterstützung des Mobile Retter e. V. in 33 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland aktiv (Stand: Januar 2023). In Niedersachsen werden die Regionen

  • Stadt Bremerhaven, Landkreis Cuxhaven und Landkreis Osterholz,
  • Landkreis Emsland und Grafschaft Bentheim,
  • Stadt und Landkreis Osnabrück,
  • Landkreise Celle,
  • Landkreis Peine und
  • Landkreis Rotenburg (Wümme)

unterstützt. Drei weitere Regionen befinden sich bundesweit im Aufbau. Bereits über 7.762.000 Menschen in sieben Bundesländern können sich so ein bedeutendes Stück sicherer fühlen, bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zusätzliche qualifizierte Hilfe zu erhalten.

Die inzwischen über 13.600 aktiven Mobilen Retter konnten in mittlerweile über 24.400 Einsätzen mit einer durchschnittlichen Eintreffzeit in Höhe von 4:29 Minuten helfen, Menschenleben zu retten2.
Abbildung 2: Mobile Retter in Zahlen, Bild: Mobile Retter e. V.
Abbildung 2: Mobile Retter in Zahlen, Bild: Mobile Retter e. V.


Mobile Retter engagieren sich ehrenamtlich, leisten aktive Nachbarschaftshilfe und beweisen bürgerschaftliches Engagement. Etwa 2 bis 3 % der Bevölkerung verfügen über die notwendige Qualifikation als Mobile Retter. Die größte Gruppe der Mobilen Retter stellen Feuerwehren und Hilfsorganisationen. Aber auch weitere qualifizierte Ersthelfende wie Pflegekräfte, Ärzt*innen und Betriebssanitäter*innen, die über eine medizinische Qualifikation und Einsatzerfahrung verfügen, können als Mobile Retter tätig werden. Da die alarmierenden Gebietskörperschaften diese ehrenamtlichen Kräfte in zeitkritische Situationen schicken, bei denen es oftmals um Leben und Tod der Patient*innen geht, werden diese Qualifikationen vorausgesetzt, um eine hohe Qualität der lebensrettenden Sofortmaßnahmen zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass die Mobilen Retter psychosozial unbelastet wieder aus diesen Einsätzen herauskommen. Da eine Mobile Retter-Alarmierung trotz dieser Qualifikationen eine außergewöhnliche Stresssituation darstellt, in der allein und ohne Ausrüstung gehandelt wird, muss jeder Mobile Retter ein initiales, kostenloses Training zur Einsatzvorbereitung absolvieren. Die Einweisung in das Mobile Retter-System sowie die Überprüfung der Reanimationsfähigkeit in einem zwei- bis dreistündigem Training ist aus rechtlichen, versicherungs‐ und datenschutzrechtlichen Gründen sowie zur Qualitätssicherung verpflichtend.

Der Verein Mobile Retter

Inzwischen existieren einige Anbieter für den technischen Teil der SbEA, bestehend aus Alarmierungssystem, App und Schnittstelle zum Einsatzleitsystem der Leitstellen (112) in den Gebietskörperschaften. Gleichzeitig gilt es eine Vielzahl administrativer und organisatorischer Aspekte mit dem Betrieb der SbEA zu organisieren. Jede Region ist – nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Regelungen in den maßgeblichen Gesetzen der Länder zur Notfallrettung – hinsichtlich der rettungsdienstlichen Versorgung unterschiedlich aufgestellt. Basierend auf langjährigen Erfahrungswerten sowie etablierter Qualitätskriterien und Standards unterstützt der gemeinnützige Verein Mobile Retter e.V. Gebietskörperschaften seit 2014 umfassend bei der strukturierten Implementierung und dem nachhaltigen Regelbetrieb der SbEA. Der Verein besitzt und vertreibt kein technisches System zur SbEA. Als Umsetzungspartner ist der Mobile Retter e.V. anschlussfähig zu den gängigen Anbietern für das technische Alarmierungssystem (Übersicht z. B. unter www.ersthelferapps.de).

Nur mit dem dauerhaften, ehrenamtlichen Engagement der qualifizierten Ersthelfenden ist es möglich, die SbEA erfolgreich und nachhaltig umzusetzen.

Daher liegt der Fokus des Mobile Retter e. V. in der Unterstützung der Gebietskörperschaften in Rekrutierung, Schutz und Betreuung, Motivation und Bindung sowie Reaktivierung der Mobilen Retter im Sinne eines aktiven Ehrenamtsmanagements.

Systemische Veränderung als Ziel

Die Digitalisierung hält immer weiter Einzug in das Gesundheits- und Rettungssystem. Der zunehmende Erfolg der SbEA beweist, dass eine Ergänzung des etablierten Rettungsdienstes sogleich sinnvoll und erforderlich ist und auch die Gebietskörperschaften diesen Bedarf sehen, denn: Jede Sekunde zählt. Als neutrale Instanz ist es das Ziel unseres gemeinnützigen Vereins gemeinsam mit relevanten Stakeholdern die SbEA zur Rettung von Menschenleben in zeitkritischen Notfällen nach einheitlichen Mindeststandards in Deutschland weiter zu verbreiten und passend zu verankern. Wir arbeiten intensiv daran, dass die SbEA von qualifizierten ehrenamtlichen Ersthelfenden, die sich in der Nähe befinden, schon bald die Regel und keine Ausnahme mehr ist. Als ein ergänzender Baustein wollen wir in einem Rettungsnetz gemeinsam mit der Laienreanimation, dem Rettungsdienst und weiteren etablierten Hilfesystemen dafür sorgen, dass niemand in Deutschland mehr unnötig an einem Herz-Kreislauf-Stillstand versterben muss.

Weiterführende Informationen sowie die Option sich als Mobiler Retter zu engagieren, finden sich auf der Website unter: www.mobile-retter.org


Quellen
1Deutscher Rat für Widerbelebung. www.grc-org.de
2Mobile Retter e.V. (2023): Einsatzstatistiken. www.mobile-retter.org/einsatzstatistiken
3Stroop, R., Kerner T., Strickmann, B., & Hensel, M. (2020). Mobile phone-based alerting of CPR-trained volunteers simultaneously with the ambulance can reduce the resuscitation-free interval and improve outcome after out-of-hospital cardiac arrest: A German, population-based cohort study. Official Journal of the European Resuscitation Council, 147, 57–64. www.doi.org/10.1016/j.resuscitation.2019.12.012


Kontakt
Dennis Brüntje
Geschäftsführung Mobile Retter e. V.

Lena Heib
Kommunikation Mobile Retter e. V.

info@mobile-retter.org
Twitter: @MobileRetter